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24. JAHRESTAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 19. NOVEMBER 2009
Infektprophylaxe bei Eliteathleten: neuste Erkenntnisse aus den Vorbereitungen des Schweizer Olympiateams
Christian Schlegel
Für einen Sportler bedeuten die Olympischen Spiele den absoluten Höhepunkt in seiner Karriere. Entsprechend gross ist der Aufwand seitens des gesamten Betreuerteams und der Athleten. Ein Infekt zum falschen Zeitpunkt kann jahrelange Vorbereitungen innert Kürze zunichte machen. Auch wenn die häufig auftretenden viralen Infekte im Winter nicht lebensbedrohlich sind, führen sie dennoch meist zu einer Reduktion der maximalen körperlichen Leistungsfähigkeit während 2 bis 4 Wochen.
Was sind die Gründe für eine erhöhte Infektanfälligkeit bei Spitzensportlern?
Es sind dies die folgenden, spezifisch bei Sportlern auftretenden Umstände, die vorübergehend zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen: länger dauernde und intensive Trainingseinheiten,Training in der Kälte, die Schädigung der Schleimhäute durch Kälte und trockene Luft, das Leben auf engem Raum mit verschiedenen Nationalitäten zusammen während der Trainings und Wettkämpfe, Stress durch bevorstehende Qualifikationen und Wettkämpfe sowie lange Reisen über mehrere Zeitzonen hinweg. Nach einem harten Training dauert die Phase der reduzierten Immunabwehr etwa 3 bis 24 Stunden. Bei Trainingslagern, in denen kontinuierlich die Belastung gesteigert und hochgehalten wird, kann diese Phase auch länger andauern. Die Gründe für diese reduzierte Immunabwehr sind einerseits die Erhöhung der Stresshormone, andererseits aber auch reduziertes saliväres Immunglobulin A im Bereich der Schleimhaut, sowie vom Muskel vermehrt produziertes Interleukin 6. Die belastungsbedingten Veränderungen
im Bereich der verschiedenen Interleukine und Mediatoren sind komplex und werden in der Literatur auch unterschiedlich beurteilt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich die Belastung dämpfend auf inflammatorische Prozesse auswirkt, was einerseits die Infektanfälligkeit erhöhen, andererseits aber über längere Dauer entzündliche Prozesse im Körper reduzieren kann, was präventivmedizinisch von herausragender Bedeutung ist. Längerfristig und in Phasen von tiefer Trainingsintensität ist die Immunabwehr bei gut trainierten Athleten zumindest normal, möglicherweise sogar verbessert. Die diesbezüglichen Studien sind aber kontrovers. Es wird bei gut trainierten Sportlern über eine erhöhte Aktivität von natürlichen Killerzellen berichtet.
Was ist das Erregerspektrum bei Infektzeichen der oberen Luftwege?
In einer Studie wurde nur bei 11 von 36 Patienten ein Erreger nachgewiesen. Daher müssen in die Differenzialdiagnose auch eine vasomotorische oder allergische Rhinitis sowie eine durch extreme Umweltfaktoren physikalisch-chemisch ausgelöste Entzündung (Schwimmer, Langläufer) einbezogen werden. Es ist aber auch möglich, dass unsere Analytik nicht alle möglichen Erreger nachweisen kann.
Wie soll sich der Sportler verhalten bei einem akuten Infekt?
Ganz entscheidend ist die sofortige Sportpause bei Fieber über 38 °C, bei Erhöhung der Ruheherzfrequenz um 10 Schläge pro Minute oder bei systemischen Symptomen wie Gliederschmerzen, Lymphknotenschwellungen, Erbrechen, Durchfall oder allgemeiner Müdigkeit.
Welche Möglichkeiten stehen zur Infektprophylaxe zur Verfügung?
An erster Stelle stehen hygienische Massnahmen, die bei konsequenter Umsetzung äusserst wirksam sind. Diese Massnahmen sind nun dank der Schweinegrippe jedermann bekannt. Ein zweiter Punkt ist die konsequente Schleimhautpflege zur Feuchthaltung der Schleimhäute in der trockenen und kalten Jahreszeit. Diesbezüglich können vor allem nachts im Zimmer Luftbefeuchter verwendet werden mit einer Ziel-Luftfeuchtigkeit von 40 bis 60 Prozent. Zusätzlich können Nasenspülungen mit physiologischen Kochsalzlösungen durchgeführt werden. Eine genügende Flüssigkeitszufuhr sollte selbstverständlich sein. Durch gute Planung und mentales Training muss der Stress in der infektanfälligen Zeit so weit als möglich reduziert werden. Nach wie vor gehört die Impfung gegen die saisonale wie auch gegen die H1N1-Grippe zu einem der wichtigsten Faktoren, um die Wahrscheinlichkeit einer schweren Grippe in der Zeit der Olympischen Spiele zu reduzieren. Es muss unbedingt auf eine genügende Kohlenhydratzufuhr während und nach den Trainings geachtet werden. Es wurde festgestellt, dass Nüchterntrainings die Immunabwehr zusätzlich reduzieren. Zur Schonung der Atemwege im Training können bei grosser Kälte Atemluft-Vorwärme-Systeme eingesetzt werden (sogenannte Wärmetauscher in Form einer Maske). Die Mikronährstoffzufuhr muss ebenfalls optimiert werden. Dabei steht die Zufuhr von Vitamin C, genügend Vitamin D sowie Zink an erster Stelle. Zusätzlich werden wir ein spezielles Pflanzenpräparat einsetzen. Dies besteht unter anderem aus konzentrierten Extrakten von
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PHYTOTHERAPIE
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24. JAHRESTAGUNG FÜR PHYTOTHERAPIE, BADEN, 19. NOVEMBER 2009
Echinacea und Sambucus nigra*. Die Erfahrungen aus dem letzten Winter zeigen eine sehr gute Wirksamkeit sowohl zur Prophylaxe wie auch zur Behandlung. Wirksam sind einerseits Flavonoide, welche die Produktion von Zytokinen stimulieren, sowie Antocynanine, welche einen entzündungshemmenden Effekt ähnlich wie Acetylsalicylsäure zeigen. Zusätzlich wird das Andocken der Viren am Hämagglutinin blockiert.
Welche therapeutischen Mass-
nahmen stehen uns zur Verfü-
gung?
Der Sportler muss sich bei Erkrankung so-
fort beim Medical Team melden, um eine
weitere Ausbreitung zu verhindern und
eine sofortige Behandlung einzuleiten. Es
erfolgt eine Sportpause, die Hygienemass-
nahmen müssen eingehalten werden, und
bei Bettruhe muss der Sportler alle 30 Minu-
ten umhergehen, um den konditionellen
Rückgang zu vermindern. Es ist sinnvoll,
nichtsteroidale Antirheumatika oder Acetyl-
salicylsäure einzusetzen, einerseits zur Be-
handlung einer einfachen Entzündung der
Atemwege ohne Erreger, andererseits schei-
nen Prostaglandine die natürlichen Killerzel-
len zu hemmen. Zusätzlich wird auch der
Einsatz von N-Acetylcystein erwogen, wel-
ches ebenfalls einen immunstimulierenden
Effekt hat. Der Einsatz von Tamiflu bleibt
schwersten Fällen vorbehalten. Ausserdem
sollen in der Rekonvaleszenz hochkalori-
sche Ernährung sowie zusätzliche Proteine
und Vitamin C eingesetzt werden.
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Anschrift des Referenten: Dr. med. Christian Schlegel FMH Physikalische Medizin und Rehabilitation Sportmedizin (SGSM) und Manuelle Medizin (SAMM) Chief Medical Officer Swiss Olympic Vancouver 2010 Medical Health Center Grand Resort 7310 Bad Ragaz christian.schlegel@resortragaz.ch
* Anm. d. Redaktion: Ein entsprechendes Präparat wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Bioforce AG hergestellt. Beim Echinacea-Präparat (ohne Sambucus) der Firma Bioforce handelt es sich um Echinamed.
Literaturliste auf Anfrage erhältlich.
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