Transkript
BERICHT
Sensitive Troponintests sorgen für Verwirrung
Frühere Diagnose, aber viele falschpositive Resultate
Seit Kurzem gibt es eine neue
Generation hochsensitiver
Troponintests, mit denen ein
Herzinfarkt früher erkannt
werden kann. Viele falschpo-
sitive Resultate sorgen jedoch
für Verwirrung. An einer Fort-
bildung am Universitätsspital
Basel erläuterte Professor
Arnold von Eckardstein die
Stärken der Tests und ihre
Schwächen bei falschem Ge-
brauch.
Renate Bonifer
Der konventionelle Troponintest erlaubt frühestens sechs bis acht Stunden nach dem Infarkt eine diagnostische Aussage. Mit den neuen, sogenannten sensitiven Troponintests ist dies bereits nach drei Stunden möglich, weil sie auch bei sehr niedrigen Troponinspiegeln sehr genaue Ergebnisse liefern. Dies belegten auch zwei im vergangenen Jahr in Deutschland und in der Schweiz durchgeführte klinische Studien (1, 2). Im klinischen Alltag scheint jedoch so mancher zu vergessen, dass ein hochsensitiver Test mitunter viele falschpositive Resultate liefern kann – vor allem, wenn man «wahllos» Patienten tes-
tet, von denen die meisten vermutlich gar nicht an der fraglichen Erkrankung leiden. Offenbar geschieht dies auch auch bei den sensitiven Troponintests, die eigentlich nur für die frühe Infarktdiagnose gedacht sind.
Infarkt bestätigen oder ausschliessen ist zweierlei
Zu falschen Schlüssen und Verwirrung komme es hauptsächlich, weil ein wichtiger Unterschied zwischen den klassischen und den hochsensitiven Troponintests nicht beachtet werde, erläuterte Professor Arnold von Eckardstein, Direktor des Instituts für Klinische Chemie am Universitätsspital Zürich: «Wir verfügen mit den klassischen Troponintests über einen sehr spezifischen Marker. Diese Tests erlauben aber erst mit erheblicher Verzögerung eine Diagnose. Erst acht Stunden nach Schmerzbeginn können Sie 100-prozentig sicher sein, dass es ein Herzinfarkt ist.» Die bisherigen, nicht so sensitiven, aber sehr spezifischen Troponintests sind sozusagen Rule-in-Parameter. Das heisst: Wenn der Test positiv ist, ist es sehr wahrscheinlich auch ein Herzinfarkt. Wenn er negativ ist, heisst das aber noch lange nicht, dass es wirklich keiner ist. Anders verhält es sich mit den neuen, sensitiven Troponintests: «Wenn wir über den sensitiven Troponintest reden, beschreiben wir eine Situation, die wir früher dem Myoglobin zugeschrieben haben: Es ist ein Rule-out-Parameter», sagte von Eckardstein. Das heisst: Wenn der Test negativ ist, ist es sehr wahrscheinlich auch kein Herzinfarkt. Wenn er aber positiv ist, heisst das wiederum noch lange nicht, dass ein Herzinfarkt vorliegt. «Wenn über die sensitiven Troponintests geschimpft wird, dann meistens weil man sie als Rule-in-Parameter betrachtet. Das ist die falsche Sichtweise, denn sie sind Rule-out-Parameter. Das ist
der grosse Vorteil der sensitiven Troponintests!», betonte von Eckardstein.
Klinische Symptome müssen stimmen
Wie viele falschpositive Resultate man erhält, hängt von der Prätest-Wahrscheinlichkeit, also der Prävalenz der Erkrankung ab, auf die man mit einem Marker testen will (siehe Abbildung). Ist das Patientenkollektiv für den Test gemäss klinischen Symptomen gut ausgewählt (Beispiel A) handelt man sich von vornherein weniger falschpositive Resultate ein als bei einem schlecht ausgewählten Kollektiv (Beispiel B). Die Richtlinien der amerikanischen und europäischen Kardiologen verlangen in ihrer seit 2007 gültigen Definition des akuten Herzinfarkts ausdrücklich, dass mindestens ein klinisches Symptom gegeben sein muss (klinische Symptome der kardialen Ischämie, EKG-Veränderungen oder bildgebender Nachweis), auch wenn steigende Konzentrationen an kardialem Troponin im Blut als Schlüsselfaktor gelten. Als Grenzwert legte man damals das 99. Perzentil einer gesunden Population fest. Das heisst im Umkehrschluss, dass 1 Prozent der Bevölkerung per Definition «zu hohe» Troponinwerte im Blut aufweist, ohne einen Herzinfarkt zu haben, was von vornherein für einen gewissen Anteil falschpositiver Resultate sorgt. Ebenfalls nicht vergessen darf man, dass es eine ganze Reihe von Krankheiten gibt, die ebenfalls das kardiale Troponin im Blut ansteigen lassen. Auch körperliche Anstrengung, wie beispielsweise ein Marathonlauf, erhöhen nachweislich den Troponinspiegel.
«... dann machen Sie doch bitte beide Tests!»
Nicht selten wünschen sich die Ärzte, dass das Labor beide Troponintests vornehmen sollte, damit man neben den neuen auch
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LABOR
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die gewohnten Werte zur Verfügung hat. «Das ist völlig sinnlos», sagte von Eckardstein. Die Werte aus beiden Tests korrelierten bestens, nur müsse man die Grenzwerte neu definieren: Wenn man mit dem sensitiven Test misst, liegt bei TnT < 14 ng/l wahrscheinlich kein Herzinfarkt vor, bei TnT > 50–60 ng/l ist ein Herzinfarkt sehr wahrscheinlich.
Sensitiven Troponintest nicht wahllos einsetzen
Die neuen, hochsensitiven Tests werden zu
Recht für die Frühdiagnose eines akuten
Herzinfarkts als «schneller» oder bezüglich
ihrer Messwertgenauigkeit als «präziser»
angepriesen. Es sei jedoch ein «Problem,
dass das bei vielen Patienten gemessen
wird, die überhaupt keine Indikation dafür
haben», sagte von Eckardstein. Man habe
dieses Vorgehen sozusagen noch von den
konventionellen Troponintests im Hinter-
kopf, die man auch verwendet, um bei-
spielsweise die Prognose eines Patienten
abzuschätzen oder besser beurteilen zu
können, ob eine PCTA, LMW-Heparine oder
GpIIb/IIIa-Antagonisten sinnvoll sind oder
nicht.Während für die konventionellen Tro-
ponintests gut belegt sei, dass sie dafür
gut geeignet sind, gebe es für die neuen,
sensitiven Troponintest zurzeit noch keine
oder nur kleine und zum Teil widersprüchli-
che Studien, sagte von Eckardstein.
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Renate Bonifer
Abbildung: Schematische Darstellung der falschpositiven und falschnegativen Resultate konventioneller Troponintests (TnT) und der neuen, sensitiven Troponintests (TnT) bei 100 Patienten in zwei Kollektiven mit verschiedenen Prätest-Wahrscheinlichkeiten; Daten (gerundet) nach (1). Konventioneller TnT-Test: cut-off 35 ng/l, Sensitivität 72%, Spezifität 97%. Sensitiver TnT-Test: cut-off 14 ng/l, Sensitivität 95%, Spezifität 80%.
Symbole: kein Herzinfarkt
Herzinfarkt
Fortbildungsveranstaltung «Akutes Koronarsyndrom» am Universitätsspital Zürich, 15. April 2010.
1. Reichlin T et al.: Early Diagnosis of Myocardial Infarction with Sensitive Cardiac Troponin Assays. N Engl J Med 2009; 361: 858–867. 2. Keller T et al.: Sensitive Troponin I Assay in Early Diagnosis of Acute Myocardial Infarction. N Eng J Med 2009; 361: 868–877.
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