Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
«Wenn die Götter einen strafen wollen, erhören sie seine Gebete.» Merkwürdiger Satz (zuletzt gehört in «Out of Africa», original vermutlich von Oscar Wilde). Besteht denn das Paradies nicht gerade darin, dass alle Wünsche erfüllt werden? Kann ja sein, wir reifen an den Schicksalsschlägen, an Krankheit, Schmerz und Niederlagen. Aber wozu reifen, wenn man’s ohne Reife paradiesisch gut haben kann? Okay, vielleicht gebiert Luxus ja tatsächlich Langeweile, Missmut, Überdruss und die lächerliche Suche nach dem «Kick» – und das wäre dann in der Tat alles andere als das Paradies. Und was haben Sie sich jetzt gewünscht fürs neue Jahr? Das Paradies? Oder eben doch nicht? Ach, ist das alles schwierig …
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Was kommt nach dem Tod? «Der Frühling», meinte der Schneemann.
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Er: «Ich bin ein alter weisser Mann – und das ist gut so.» Sie: «Ich bin jung, grün, urban und eine Frau – und das genügt so.»
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Lena Palm absolvierte ihr Sozialjahr in Namibia, kehrte später dorthin zurück und ist heute, mit 24, Leiterin mehrerer Hilfsprojekte, zum Beispiel eines Waisenhauses. Lena reist nicht mit Millionärsjachten über den Atlantik, trifft keine Staatsmänner, streikt nicht, ihre Eltern schreiben keine Bücher und engagieren keine PR-Agenturen, Lena prangt nicht auf der Titelseite des «Time Magazin» als «Person of the Year», und sie erhält keinen «alternativen Nobelpreis». Sie hilft nur und sucht Unterstützung. Wenn uns irgendjemand auf dieser Welt ein schlechtes Gewissen machen darf – vielleicht sollte –, dann Leute wie Lena.
Wie meinen Sie? Man sollte nicht das eine gegen das andere ausspielen? Doch, genau das sollte man!
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Früher verspürten «die Autoritäten» – Eltern, Lehrer, Vermieter, Offiziere – nicht das Bedürfnis, sich uns Jungen anzubiedern. Sie regten sich auf, wiesen uns die Tür und spätestens in der RS war Schluss mit Diskussionen zum Beispiel über lange Haare. Heute erklären die aufmüpfigen Kinder ihren devoten Eltern die Welt, und die Eltern halten sich für megacool, wenn sie Plakate mit pubertären Sprüchen malen helfen. Nein, nicht die jungen R ebellen machen einem Sorge, eher die autoritätsdefizitären Erwachsenen.
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Tweet der Umweltschutzbewegung Fridays for Future: «Warum reden uns die Grosseltern eigentlich immer noch jedes Jahr drein? Die sind doch eh bald nicht mehr dabei.»
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«Narrensaum» ist ein Begriff für politische Strömungen am Rande, also für Exoten und Exzentriker. Inzwischen haben sich allerdings die Verhältnisse geändert. Wenn Sie meinen, Sie gehörten zur Mitte der Gesellschaft, dann vertreten Sie mal die Meinung, die Begriffe «Elternteil 1» und «Elternteil 2» anstelle von Vater und Mutter seien modischer Blödsinn, weil’s heute eben auch doppelweibliche, doppelmännliche, doppeloder gemischt-queere oder Inter-Ehepaare (egal, auch wenn Sie nicht wissen, was das ist, in urbanmodernen Kreisen ist das normal) gibt, dann kommen Sie sozusagen auf die schöne neue Welt. Dann werden Sie erleben, dass auf einmal Sie zum Narrensaum gehören – und nicht die (eigentlichen) Narren.
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In jungen und jüngeren Jahren sind die wichtigsten Fragen oft: Wer ist der Grösste? Wer ist der Beste? Wer ist der (Erfolg-)Reichste? Später beschränkt sich das Leben auf die Frage: Wer ist der Nächste?
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Mutter lebte von den Zinsen. 6 Prozent auf das bescheidene Ersparte und ein vom Vater ererbtes PK-Kapital von knapp 300 000 Franken bedeuteten jeden Monat 1500 Franken, zusätzlich zur AHV. Davon konnte die bescheidene Frau ordentlich leben. Heute? Dank der Niedrigzinspolitik müsste sie einen Teil ihrer AHV an die Bank zahlen dafür, dass ihr Erspartes auf der Bank liegen darf. Eine irre Welt. Die EU hat Griechenland, den Euro und die europäischen Banken gerettet. Die Zeche bezahlen die Sparer. Und das Schöne (für einige): Es wird noch ganz, ganz lange so bleiben.
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Grossmutter, wenn uns nach dem frischen Brot gelüstete: «Es gibt kein hartes Brot. Nur kein Brot ist hart.»
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Und das meint Walti: Die Wahrheit ist wie Poesie. Und die meisten Leute hassen Poesie.
Richard Altorfer
8 ARS MEDICI 1+2 | 2020