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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Praxis
Notizblock schlägt Computer
Wenn man Wert darauf legt, als Arzt während der Konsultation vom Patienten als mitfühlend, kommunikativ und professionell wahrgenommen zu werden, sollte man dabei handschriftliche Notizen machen und diese nicht in den Computer tippen. Diese Erfahrung dürfte Hausärzten nicht neu sein, wurde nun aber auch in einer Studie an der Universität Texas dokumentiert.
Mit professionellen Schauspielern wurde in zwei Videos eine typische ambulante Konsultationssituation nachgestellt, einmal schrieb ein Arzt per Hand mit, einmal tippte er dabei in den Computer. Die beiden Videos wurden nun 120 Palliativpatienten im Durchschnittsalter von 58 Jahren, etwa die Hälfte von ihnen Frauen, gezeigt. 60 Probanden sahen zuerst die sogenannte Face-to-faceSituation mit Notizblock und danach die computergestützte Konsultation. Die anderen 60 sahen die beiden Videos in umgekehrter Reihenfolge. Jeweils nach dem Abspielen eines Videos vergaben sie Punkte für Mitgefühl, Kommunikation und Professionalität des Arztes. Das Resultat: In allen Punkten hatte der Arzt mit dem Notizblock die Nase vorn. Wurde das Video mit dem Computergebrauch zuerst gezeigt, schnitt die computerfreie Konsultation sogar noch etwas besser ab.
71 Prozent der Probanden sagten, dass sie
lieber von dem Arzt behandelt werden
würden, der während der Konsultation
handschriftliche Notizen machte.
Die Studienautoren geben zu bedenken,
dass möglicherweise das Verhalten des
Arztes an sich entscheidender sein
könnte als die An- oder Abwesenheit
eines Computers. Da im heutigen Ge-
sundheitswesen die elektronische Kran-
kenakte unvermeidbar sei, müsse man
geeignete Konsultationsformen finden
und trainieren, damit diese von den Pa-
tienten gleichermassen akzeptiert wer-
den wie das traditionelle handschriftliche
Notieren, fordern Dr. Eduardo Bruera und
seine Koautoren.
RBO L
Haider A et al.: Physicians’ compassion, communication skills, and professionalism with and without physicians’ use of an examination room computer: a randomized clinical trial. JAMA Oncology 2018; online 19 April 2018
Neurologie
Neue Gehirnzellen entstehen in jedem Alter
Bisher ging man davon aus, dass mit fortschreitendem Alter die Fähigkeit zur Neubildung von Neuronen im Gehirn verloren geht, und darum das Gehirn sozusagen immer statischer werde. Die Autopsieergebnisse der Neurobiologin Prof. Maura Boldrini und ihres Teams an der Columbia University, New York, sprechen hingegen dafür, dass selbst im hohen Alter noch neue Gehirnzellen gebildet werden können. Die Forscher führten bei 28 im Alter von 14 bis 79 Jahren verstorbenen Personen Autopsien des Gehirns durch. Sie untersuchten kurz nach Eintritt des Todes die Hippokampusregion hinsichtlich neu gebildeter Neuronen und dem Zustand der Hirngefässe. Alle Personen waren gesund und unerwartet verstorben. Sie wiesen keinerlei Anzeichen für eine psychiatrische, demenzielle und/oder neurologische Erkrankung auf. Das Team achtete
insbesondere auch darauf, dass die Verstorbenen zu Lebzeiten keine Antidepressiva eingenommen hatten, weil Boldrini und ihre Kollegen kürzlich herausgefunden hatten, dass diese die Entwicklung neuer Gehirnzellen möglicherweise beeinträchtigen könnten. «Wir fanden heraus, dass die Fähigkeit zur Entwicklung Tausender neuer Neuronen aus Vorläuferzellen in der Hippokampusregion bei älteren und jüngeren Personen vergleichbar ist», so Boldrini in einer Pressemeldung anlässlich der Publikation in der Zeitschrift Cell Stem Cell. Selbst in den Gehirnen der ältesten Verstorbenen fanden sich etwa gleich viele Neuronenvorläufer- und unreife Neuronenzellen wie bei den Jungen. Allerdings zeigte sich bei älteren Personen eine spärlichere Vaskularisation der Gehirnregion, und ihre neugebildeten Neuronen sind schlechter in der Lage, neue Synapsen mit anderen
Neuronen zu bilden. Auch die Anzahl
neuronaler Stammzellen, aus denen
noch Neuronen werden könnten, scheint
bei den Älteren vermindert zu sein.
Insgesamt dürfen gesunde, ältere Perso-
nen ohne kognitive Beeinträchtigung,
neuropsychiatrische Erkrankungen oder
entsprechende Behandlungen jedoch
davon ausgehen, dass ihre Fähigkeit zur
Bildung neuer Neuronen lebenslang be-
steht: «Es ist möglich, dass die anhal-
tende Neurogenese im Hippokampus die
humanspezifische kognitive Funktion ein
Leben lang erhält und dass der Rückgang
dieser Neurogenese mit einem Rückgang
der kognitiv-emotionalen Resilienz ver-
bunden ist», schreiben Boldrini und ihre
Koautoren als Zusammenfassung ihrer
Forschungsergebnisse.
RBO L
Boldrini M et al.: Human hippocampal neurogenesis persists throughout aging. Cell Stem Cell 2018; 22: 589–599.
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ARS MEDICI 9 | 2018
Infektiologie
So eliminiert man Hepatitis C in einer Risikogruppe
Die Teilnehmer der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie werden routinemässig einmal im Jahr auf Hepatitis C (HCV) getestet. Seit 2008 sieht man in der Schweiz einen fast zwanzigfachen Anstieg neuer Hepatitis-C-Infektionen in der Risikogruppe der HIV-positiven Männer, die mit Männern Sex haben (MSM). Im Rahmen der schweizweiten Studie «Swiss HCVree» testete man nun in einer ersten Phase alle 4000 HIV-infizierten MSM der Schweizerischen Kohortenstudie auf Hepatitis C und fand insgesamt 177 HCV-Infektionen. 31 der Betroffenen hatten sich im Jahr zuvor neu infiziert, die übrigen litten an einer chronischen Hepatitis C. In der zweiten Phase der Studie wurde allen Teilnehmern eine kostenlose Hepatitisbehandlung angeboten. Insgesamt liessen sich 90 Prozent der HCV-infizierten Studienteilnehmer 12 Wochen lang medikamentös behandeln. Bis auf einen konnten alle Teilnehmer von ihrer Hepatitis-C-Infektion geheilt werden. Die meisten Studienteilnehmer profitierten zusätzlich von einer Verhaltensintervention. In vier Sitzungen wurden die Teilnehmer mittels Videomaterial und Gesprächen
motiviert, sexuell riskantes Verhalten zu reduzieren und damit das Risiko einer erneuten HCVInfektion zu minimieren. Im Anschluss an die Behandlungsphase wiederholte man die HCV-Tests in derselben Personengruppe wie in der ersten Studienphase. Die Zahl der chronisch Infizierten war um 92 Prozent gesunken, die Zahl der Neuinfektionen halbiert. «Wir haben mit unserer Studie gezeigt, dass man in einer Risikopopulation mit gezielten Massnahmen Hepatitis C eliminieren kann», so Prof. Dr. med. Jan Fehr, Oberarzt an der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene des Universitätsspitals Zürich und Leiter der Studie. Die in der Studie untersuchte Kombination aus medikamentöser Therapie und Verhaltenstherapie wertet er als geeignete Methode, um Hepatitis C bei HIV-positiven MSM bis zum Jahr 2030 zu eliminieren; das entspricht dem Zeitraum, den die WHO als Ziel vorgegeben hat.
USZ/RBO L
Pressemitteilung des Universitätsspitals Zürich vom 13. April 2018
Praxis
Kurzer Fragebogen steigert die Patientenzufriedenheit
Mit Fragebögen zum Erfassen der Patientenzufriedenheit versuchen Spitäler ihre Qualität zu steigern. Allerdings sind diese Fragebogen nicht selten recht umfangreich und kompliziert. Am Duke University Hospital in Durham (USA) hat man nun einen kurz gefassten Fragebogen mit Erfolg ein Jahr lang getestet. Er passt auf eine A4-Seite und beginnt mit der Einladung an den Patienten, in seinen eigenen Worten drei Fragen aufzuschreiben, die er anlässlich der bevorstehenden Konsultation mit dem Arzt besprechen möchte, beispielsweise zu Themen wie Medikamente, diagnostische Untersuchungen oder Behandlungsmöglichkeiten. Nach der Konsultation sollen die Patienten dann noch eintragen, ob ihre Fragen beantwortet wurden (Ja/Nein), wie zufrieden sie mit der Konsultation waren (Punktwertung) und was man besser machen könnte (freies Textfeld). Innerhalb eines Jahres wurde dieser Fragebogen
mit 14690 Patienten getestet, die bei insgesamt
zwölf Ärzten einen Termin hatten. 96 Prozent
der Patienten füllten den Fragebogen aus. Die
kurz gefasste Version wurde von den Ärzten
besser als der alte, längere Fragebogen beur-
teilt. Auch die Qualität der Kommunikation und
die Patientenzufriedenheit verbesserten sich,
so die Autoren der entsprechenden Publikation
in der Zeitschrift Neurosurgery.
Was das mit der hausärztlichen Praxis zu tun
hat? Nun, sicher braucht es in der Hausarztpra-
xis nicht noch mehr Administration und das An-
häufen von Fragebogen, aber vielleicht wäre es
eine gute Idee, dem Patienten vor der Konsulta-
tion ein Blatt Papier und einen Stift in die Hand
zu drücken, damit er seine Fragen vorab im War-
tezimmer notieren kann.
RBO L
Zakare-Fagbamila R et al.: Clinic satisfaction tool improves communication and provides real-time feedback. Neurosurgery 2018; online 14 April 2018.
Rückspiegel
Vor 10 Jahren
Langlebiger LSD-Forscher
Im Alter von 102 Jahren stirbt Ende April 2008 der Schweizer Chemiker Albert Hofmann. 70 Jahre zuvor hatte er, als Angestellter des Unternehmens Sandoz in Basel, im Rahmen der Arzneimittelforschung viele verschiedene Amidverbindungen der Lysergsäure des Mutterkorns synthetisiert, darunter auch Lysergsäurediethylamid, das LSD. Die starke halluzinogene Wirkung des LSD entdeckte er 5 Jahre später zufällig und verifizierte sie dann in einem Selbstversuch, den er akribisch genau protokollierte. Er nahm dafür eine recht hohe Dosis, was ihm zunächst einen beängstigenden Horrortrip bescherte. Erst gegen Ende, mit nachlassender Wirkung der Droge, begann er «das unerhörte Farben- und Formenspiel zu geniessen».
Vor 50 Jahren
Pille danach
Neben ethischen Diskussionen um das definitive Ende des Lebens im Zusammenhang mit der neuerdings möglichen Herztransplantation beginnt nun eine noch heftiger geführte Debatte um den Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens. Die sogenannte «Pille danach» ist marktreif, und Juristen wie Ärzte fragen sich, ob ihr Gebrauch einer Abtreibung gleichzusetzen sei.
Vor 100 Jahren
Notlügen bei Schlafstörungen
Weil Schlafstörungen schwer zu beheben seien
und sich dem Patienten der Gedanke aufdränge,
«er müsse zugrunde gehen, wenn er wach sei»,
empfiehlt ein Arzt in ARS MEDICI, dass man sich
«im Interesse der guten Sache zur Behauptung
versteigen kann, ein Mensch könne den Schlaf
monatelang entbehren, ohne an seiner Gesund-
heit Schaden zu nehmen». Derart beruhigt wür-
den viele mithilfe leichter Hausmittel, wie
einem Valeriana- oder Orangenblütentee, wie-
der schlafen können. Klappt das nicht, könne
man gegenüber dem Patienten behaupten, er
habe durchaus in der Nacht geschlafen (auch
wenn das nicht stimmt). Man sollte ihm dann
von frei erfundenen nächtlichen Ereignissen be-
richten, die er doch gehört haben müsste, wenn
er tatsächlich nicht geschlafen hätte: «Das hat
den Vorteil, dass die Kranken nach einer minder
gut verbrachten Nacht tagsüber nicht so sehr
beunruhigt sind.»
RBO L
ARS MEDICI 9 | 2018