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EDITORIAL
Von Einheitskasse, onkologischer Forschung und Röstigraben
Der «Tages-Anzeiger» berichtet, dass die Westschweizer Kantone einen neuen Versuch wagen wollen, eine Einheitskasse einzuführen. Dafür muss die Bundesverfassung geändert werden; jeder Kanton soll künftig sein KK-System selber wählen können. Warum eigentlich nicht? Dann gäbs neben dem Steuerwettbewerb der Kantone halt auch noch einen Krankenversicherungswettbewerb der Regionen. Eigentlich eine verlockende Aussicht. Wenn stimmt, was wir Liberalen behaupten, müsste sich nach wenigen Jahren zeigen, dass man in der Romandie entweder mehr zahlt für die gleiche Leistung oder gleich viel für weniger medizinische Dienstleistungen als in der Deutschschweiz. Man möchte es den welschen Etatisten fast gönnen. Voraussetzung wäre einzig, dass am Ende nicht die Deutschschweiz über irgend eine Form des Finanzausgleichs für die absehbaren Mehrkosten aufkommt. Aber wer weiss, vielleicht täuschen wir uns ja auch und «der Staat» schafft es, gleich effizient zu werken wie die Privaten. Die Romands stellen sich das so vor: Die Krankenkassen sollen in der Grundversicherung nicht verschwinden. Sie würden weiterhin Mitgliedschaften verwalten, Rechnungen prüfen und Zahlungen veranlassen, hätten aber keinen Einfluss mehr auf die
Höhe der KK-Prämien. Den Einzug der kantonal selbstverständlich einheitlichen Prämien übernähmen im neuen System kantonale und regionale Ausgleichskassen, die wie AHV-Kassen funktionieren. Die Ausgleichskassen würden im Übrigen auch die Reserven verwalten und den Krankenkassen Geld überweisen, um Arztrechnungen zu zahlen. Der federführende welsche Konsumentenverband ist überzeugt, dass damit mehr Transparenz ins System käme Gleichentags in der «NZZ» ein Bericht über die Fülle der neuen Krebsmedikamente, die in den diversen Pipelines sind. Über 500 Firmen forschen zurzeit und hoffen auf die Entwicklung eines Blockbusters. Das Positive für die Patienten: Noch nie standen die Chancen, mit einer Krebserkrankung länger und besser zu überleben, so gut wie heute. Allerdings zu einem nicht geringen Preis. Wer in einem marktwirtschaftlichen System forscht, möchte seine Forschungsaufwendungen schliesslich irgendwann wieder einspielen. Und zwar mit Gewinn. Das bedeutet, dass die Kosten allein für Krebsmedikamente bis 2020 weltweit um 40 Prozent auf rund 150 Milliarden Dollar steigen. Was eher konservativ geschätzt sein dürfte. Ein staatliches Versicherungssystem mit auf die eine oder andere Weise gedeckelten Ausgaben und eine Pharmaindustrie, die neue, aber ziemlich teure Therapien bereitstellt, die bezahlt werden müssen. Man darf gespannt sein, wie der Clash der Systeme aussieht und ausgeht und ob dereinst der Röstigraben Regionen unterschiedlicher medizinischer Qualität oder nur unterschiedlicher Finanzierungssysteme trennt und welche Region sich dannzumal grösserer Beliebtheit erfreut.
Richard Altorfer
ARS MEDICI 12 I 2016
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