Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Gynäkologie
Einfacher Risikotest für Diabetes nach der Schwangerschaft
Gestationsdiabetes ist eine der häufigsten Begleiterkrankungen einer Schwangerschaft. Obwohl die Symptome nach der Entbindung in der Regel verschwinden, haben Gestationsdiabetikerinnen ein erhöhtes Risiko, in den folgenden Jahren einen Post-partum-Diabetes zu entwickeln. Prof. Dr. Anette-Gabriele Ziegler und ihr Team am Helmholtz-Zentrum München haben anhand der Daten von 257 Schwangeren mit Gestationsdiabetes ein Punktesystem entwickelt, um die 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für einen Post-partum-Diabetes nach der Entbindung zu berechnen. Das Prognose beruht demnach auf vier Parametern: BMI, erbliche Belastung, insulinpflichtiger Schwangerschaftsdiabetes und Stillen. Als niedrig gilt ein Wert von Յ140 Punkten. Dieser entspricht einem Risiko von zirka 11 Prozent, innerhalb von fünf Jahren post partum an Diabetes zu erkranken. Ein mittlerer Wert liegt zwischen 141 und 220, hierbei liegt das Risiko bei etwa 29 Prozent. Erhöhte Werte (221–300) zeigen ein Risiko von 64 Prozent an, und sehr hohe Werte (300 und darüber) bedeuten ein Risiko von etwa 80 Prozent für einen Post-partum-Diabetes.
So errechnet man die Punktzahl: 5 × BMI (in der frühen Schwangerschaft) Schwangerschaftsdiabetes mit Insulin behandelt? Falls ja Familiäre Diabetesveranlagung der Mutter? Falls ja Wird/wurde das Kind gestillt? Falls ja
= ... Punkte + 132 Punkte
+ 44 Punkte – 35 Punkte
«Auf diese Weise wissen Arzt und Patientin
um das jeweilige Risiko und können eine
entsprechend engmaschige Kontrolle auf
den persönlichen Einzelfall abstimmen», so
Ziegler.
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Koehler M et al.: Development of a simple tool to predict the risk of postpartum diabetes in women with gestational diabetes mellitus. Acta Diabetologica, online first Oct 19th 2015.
Pressemitteilung des Helmholtz-Zentrums München vom 22. Oktober 2015.
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Prävention
Schützt Nicotinamid vor weissem Hautkrebs?
Die Anwort lautet ja, aber der Effekt ist nicht besonders gross. Das ergab eine kürzlich publizierte, randomisierte, plazebokontrollierte und doppelblind durchgeführte Studie. 386 Personen, die in den vorangegangen fünf Jahren mindestens zwei Nicht-Melanom-Hauttumoren (Basaliome oder Spinaliome) gehabt hatten, wurden in zwei gleich grosse Gruppen aufgeteilt: Die erste Gruppe erhielt ein Jahr lang 1 Gramm Nicotinamid pro Tag (2x 500 mg/Tag), die zweite Gruppe ein Plazebo. Alle Probanden wurden in 3-Monats-Intervallen von einem Hautarzt untersucht. Der primäre Endpunkt der Studie war die Anzahl neuer Basaliome oder Spinaliome im Behandlungszeitraum. Nach einem Jahr waren bei den Probanden mit Nicotinamid im Durchschnitt 1,8 neue Läsionen pro Person aufgetreten, davon 1,3 Basaliome und 0,5 Spinaliome. Mit Pla-
zebo waren es 2,4 neue Läsionen (1,7 Basaliome, 0,7 Spinaliome). Der Unterschied zwischen beiden Gruppen ist statistisch signifikant und entspricht einem Rückgang des relativen Risikos um 23 Prozent, wobei das 95-Prozent-Konfidenzintervall mit 4 bis 38 Prozent recht weit war. Auch aktinische Keratosen, die als präkanzeröse Hautveränderungen gelten, waren mit Nicotinamid seltener als mit Plazebo. Bei der ersten Untersuchung nach drei Monaten fanden sich zwar auch mit Plazebo im Durchschnitt drei aktinische Keratosen weniger (die Studienautoren gehen darauf nicht näher ein), mit Nicotinamid war der Rückgang jedoch mit sieben bis acht weniger aktinischen Keratosen pro Person grösser. Das entsprach einem Rückgang des relativen Risikos für aktinische Keratosen um 11 bis 20 Prozent an den Kontrollterminen.
Nicotinamid ist das Amid der Nicotinsäure (Niacin). Anders als Niacin hat Nicotinamid keine vasodilatorischen Nebenwirkungen wie Hautrötung, Jucken, Hypotonie oder Kopfschmerzen. Nicotinamid ist in vielen Vitaminpräparaten in unterschiedlicher Dosierung enthalten. In der sechsmonatigen Follow-up-Phase zeigte sich, dass der positive Effekt des Nicotinamids verschwindet, sobald es abgesetzt wird. Das bedeutet, dass man das Supplement auf Dauer täglich einnehmen müsste, um einen gewissen vor weissem Hautkrebs schützenden Effekt zu erzielen.
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Chen AC et al.: A phase 3 randomized trial of nicotinamide for skincancer chemoprevention. N Engl J Med 2015; 373: 1618–1626.
1038 ARS MEDICI 22 I 2015
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Onkologie
Virus gegen Melanom
Rückspiegel
Sowohl die US-amerikanische FDA als auch die europäische Arzneimittelbehörde EMA geben grünes Licht für ein Melanomtherapeutikum, das auf einem modifizierten Herpes-simplex-Virus Typ 1 beruht. Das Präparat mit der generischen Bezeichnung Talimogene Laherparepvec (T-VEC, Handelsname Imlygic®) wird direkt in das Melanom injiziert. Das Virus dringt in die Tumorzellen ein, repliziert intrazellulär und zerstört dadurch die Zelle. Gleichzeitig produziert das modifizierte Virus das Immunstimulans GM-CSF (Granulozyten-Makrophagen-stimulierender Wachstumsfaktor). Man geht davon aus, dass T-VEC auf zwei Wegen wirkt: Zum einen führt die Virenreplikation zur Zelllyse, zum anderen werden die Zelltrümmer den körpereigenen Immunzellen in einem GM-CSF-angereicherten Milieu präsentiert, wodurch diese angeregt werden, gegen Melanomzellen überall im Organismus vorzugehen. Die freigesetzten neuen Viren infizieren weitere Melanomzellen. Die Viren können auch in
gesunde Zellen eindringen, sollen sich dort
aber nicht vermehren können.
Die EMA empfiehlt die Zulassung von T-VEC
für Patienten mit nicht resektablem, regional
oder distal metastasiertem Melanom, sofern
keine Knochen-, Hirn-, Lungen- oder andere
viszerale Erkrankungen vorliegen. Nach An-
gaben der FDA wird T-VEC mindestens ein
halbes Jahr lang alle zwei Wochen injiziert
beziehungsweise so lange, bis keine Läsionen
mehr sichtbar sind oder sich der Zustand des
Patienten verschlechtert und eine andere
Behandlung erforderlich wird.
T-VEC führte in Studien bei einem Teil der
Patienten zu einer Verkleinerung der Mela-
nomläsionen. Ob T-VEC letztlich auch das
Leben der Melanompatienten verlängern
kann, ist noch offen.
RBOO
Pressemitteilung der EMA vom 23. Oktober 2015 und Pressemitteilung der FDA vom 27. Oktober 2015.
Impfungen
HPV-Impfung nicht schuld an chronischem Schmerzsyndrom
Fachleute der europäischen Arzneimittelbehörde EMA kommen nach der Analyse der verfügbaren Daten zu dem Schluss, dass eine HPV-Impfung weder das chronische Schmerzsyndrom CRPS (complex regional pain syndrom; Morbus Sudeck) noch das postural orthostatische Tachykardiesyndrom (POTS) bewirken kann. Vielmehr seien bei jungen Frauen nach einer HPV-Impfung nicht mehr CRPS- und POTS-Fälle aufgetreten, als normalerweise in der Bevölkerung zu erwarten sind. CRPS ist ein chronisches Schmerzsyndrom, das infolge einer Fraktur oder Verletzung auftritt, wobei die Schwere des Traumas keine Rolle spielt. Bei POTS schnellt der Puls beim Sitzen oder Aufstehen abnorm nach oben, zusammen mit Symptomen wie Schwindel oder Bewusstlosigkeit, aber auch Kopfschmerzen, Übelkeit und Fatigue. CRPS und POTS können die Lebensqualität erheblich mindern. Beide Syndrome kommen in der Allgemeinbevölkerung vor, auch bei Jugendlichen.
Für Mädchen und junge Frauen im Alter von
10 bis 19 Jahren schätzt man die Inzidenz von
CRPS oder POTS auf 150 Fälle pro 1 Million
Personen pro Jahr. Unter Mädchen und jun-
gen Frauen, die gegen HPV geimpft wurden,
traten CRPS oder POTS nicht häufiger auf,
selbst wenn man davon ausgeht, dass mögli-
cherweise nicht alle Fälle gemeldet wurden,
so die EMA-Fachleute. Sie kommen darum zu
dem Schluss, dass die vorliegenden Daten
nicht dafür sprechen, dass CRPS oder POTS
durch die HPV-Impfung ausgelöst werden
könnten.
Mittlerweile wurden weltweit mehr als
80 Millionen Mädchen und Frauen gegen HPV
geimpft, in manchen europäischen Ländern
liegt die Durchimpfungsrate bei bis zu 90 Pro-
zent. In der Schweiz schwankt die Durchimp-
fungsrate mit 20 bis 80 Prozent beträchtlich
zwischen den Regionen.
RBOO
Pressemitteilung der EMA vom 5. November 2015.
Vor 10 Jahren
Radonstudie
Die Autoren einer von der EU beauftragten Studie kommen zu dem Schluss, dass zirka 9 Prozent der Todesfälle wegen Lungenkrebs und 2 Prozent aller tumorbedingten Todesfälle durch die Belastung der Innenraumluft mit Radon verursacht werden. Bis zum 75. Lebensjahr erkranken ohne Radonexposition demnach 4 von 1000 Nichtrauchern an Lungenkrebs, bei 400 Bq/m2 sind es 7 von 1000 Nichtrauchern. Bei den Rauchern verstärkt das Radon das Lungenkrebsrisiko: Ohne Radon sterben bis zu diesem Alter 100 von 1000 Rauchern an Lungenkrebs, mit 400 Bq/m2 sind es 160 von 1000 Rauchern.
Vor 50 Jahren
Lieferstopp für DMSO
Das bei der Einführung als «Wundermittel» bejubelte Dimethylsulfoxid (DMSO), das unter anderem die Aufnahme von Substanzen durch die Haut fördert, wird nach Meldungen ernsthafter Nebenwirkungen vorläufig vom Markt genommen. Wissenschaftler kritisieren, dass auch der Nachweis für viele angebliche DMSO-Wirkungen gar nicht gegeben sei. Später kommt DMSO wieder in den Handel. Es ist in der Schweiz seit 1973 in diversen Kombinationsmitteln zur äusserlichen Anwendung zugelassen.
Vor 100 Jahren
Impfstoffrezept
Im «British Medical Journal» vom 13. November 1915 beschreiben Aldo Castellani und Ralph W. Mendelson, die zu dieser Zeit in einem Militärhospital in Serbien stationiert sind, wie ein kombinierter Impfstoff gegen Typhus, Paratyphus A und B sowie Cholera herzustellen ist. Sie berichten, dass sie ihren Impfstoff bereits an 50 000 Soldaten verabreicht haben und weisen darauf hin, dass man den Impfstoff mittlerweile auch von einem kommerziellen Anbieter in den USA beziehen kann.
RBO
ARS MEDICI 22 I 2015