Transkript
EDITORIAL
Die modischen Sneakers, gesehen während des letzten Sommerurlaubs – ein echtes Schnäppchen! Oder das
Designertäschli neulich in diesem obskuren Online-Shop – spottbillig! Man ahnt schon, dass derlei kaum mit rechten Dingen zugehen kann, doch das Geschäft floriert offenbar, denn kein Angebot, wo keine Nachfrage. Mag der Schein am Ende auch trügen – es zählen der erste Eindruck (anderer) und vor allem die Kräfteverhältnisse im (eigenen) Geldbeutel. Und was soll’s? Angesichts zunehmend besserer technischer Möglichkeiten können oft selbst die Hersteller ihr Original kaum noch von der Fälschung unterscheiden. Der wirtschaftliche Schaden inklusive der Vernichtung von Arbeitsplätzen indes ist immens.
Kursen gelangen. Ganz legal und noch dazu gesetzlich gefördert: Mindestens fünf Prozent ihres Umsatzes müssen deutsche Apotheker gemäss der im Rahmen der «Kostendämpfung im Gesundheitswesen» eingeführten Quote mit importierten Präparaten erzielen, um die Krankenkassen zu entlasten. Da die Vertriebswege, den diese Importe nehmen, nicht offengelegt werden müssen, bieten sie Fälscherzirkeln offene Flanken. Letzte Spuren verwischen dabei die mittlerweile völlig unauffälligen Verpackungen: Wie Recherchen des deutschen TV-Wirtschaftsmagazins «plusminus» ergaben, sind die Plagiateure offenbar im Besitz von Originaldruckdaten der Pharmahersteller. Der Industrie, die ihre Produkte durch aufgedruckte Codes, Hologramme und dergleichen künftig fälschungssicherer machen will, ist hoffentlich klar, dass der Feind bisweilen im eigenen Lager sitzt … In der Schweiz gibt es zwar keine Importquote, und der Versandhandel mit Arzneien ist grundsätzlich nur in geringen Mengen erlaubt. Das heisst allerdings nicht, dass
Apokalypse Apotheke?
Doch damit nicht genug. Das kriminelle Potenzial der Produktpiraten erstreckt sich auf sämtliche für sie lukrativen Bereiche, darunter auch solche, wo es für ihre Opfer wirklich gefährlich wird. In den unterentwickelten Ländern der Erde sind schon Tausende Menschen gestorben, weil sie Medikamente einnahmen, die statt der benötigten Wirkstoffe unwirksame oder gar giftige Substanzen enthielten. In jüngster Zeit mehren sich die Berichte über Arzneimittelfälschungen auch in den westlichen Industriestaaten. Dass Medikamente besser nicht übers Internet bezogen werden sollten, hat sich allgemein herumgesprochen. In Deutschland haben gefälschte Arzneien nun aber wiederholt auch die Apotheken und mithin, auf vermeintlich sicherem Weg, direkt die Patienten erreicht. Die Naivität und die Resignation, mit der Branchenprofis wie behördliche Experten auf die immer ausgefeilteren Machenschaften reagieren, sind frappant. In den Fällen, in denen Apothekenkunden das Plagiat aufgefallen war und sie es reklamierten, waren die damit konfrontierten Pharmazeuten ahnungslos. Sie sind ja auch nur das letzte Glied in einer immer undurchsichtigeren Handelskette, über die Medikamente, zumindest in der EU – aus Ländern mit niedrigeren Abgabepreisen, «Parallel-» und «Re-Import» sind die Stichwörter – umverpackt und umetikettiert auf Marktplätze mit höheren
die Gefahren, die Verbrauchern durch gefälschte Medikamente drohen, hierzulande gänzlich gebannt wären. Trotz der restriktiven Importrichtlinien werden Arzneimittel in grossem Stil eingeführt: Swissmedic und Eidgenössische Zollverwaltung gehen von jährlich etwa 40 000 Medikamentensendungen aus, die Hälfte davon illegal. Gegen noch strengere Auflagen wehren sich unterdessen die Schweizer Ärzte. In der Vernehmlassung zur Umsetzung der Medicrime-Konvention des Europarats, des ersten internationalen Übereinkommens zur Unterbindung illegalen Heilmittelhandels, hat die FMH im Frühjahr ihre Position dargelegt: Ein generelles Einfuhrverbot von in der Schweiz nicht zugelassenen Präparaten per (Online-)Versand, insbesondere auch für Ärzte, wäre rückschrittlich und nicht sinnvoll, da etwa Krebspatienten auf «Off-label»- und «Compassionate-use»-Medikamente angewiesen seien. Ausserdem solle eine Konvention gegen Arzneifälschungen idealerweise von der WHO und nicht lediglich europaweit getragen werden. In der Tat: Mit nationalen oder europäischen Alleingängen wird dem wachsenden Problem der Pharmaplagiate auf globalen Märkten nicht beizukommen sein. Und noch etwas dürfte klar sein: Sicherheit hat auch hier ihren Preis.
Ralf Behrens
ARS MEDICI 23 I 2014 1145