Transkript
Editorial
Für den Tratsch im globalen Dorf haben sich neben den Usern von Facebook, Twitter & Co. bis anhin vor allem Werbeagenturen und Unternehmen interessiert. Kein Wunder, denn wo sonst geben so viele Menschen so vieles über sich und ihre individuellen Interessen preis, was sich trefflich für kommerzielle Zwecke nutzen lässt. Die Möglichkeit, über sogenannte soziale Netzwerke im Internet relativ rasch, einfach und kostengünstig herauszufinden, was viele Menschen beschäftigt, könnten sich nun auch Gesundheitswächter zunutze machen, um aufflackernde Epidemien möglichst rasch zu entdecken.
tige, was mich interessiert und was weniger. Im Grunde macht es hierbei aber keinen allzu grossen Unterschied, ob man sich von sozialen Netzwerken im Internet fernhält oder nicht. Jeder Klick, jede Mail, jeder Skype-Kontakt hinterlassen Spuren, aus denen moderne Internettrapper viel-
Mit Twitter auf Mikrobenjagd
Vor zwei Wochen wurde an der Europäischen Infektiologentagung ECCMID in Wien vorgestellt, welche Spuren die Schweinegrippe im letzten Jahr im Netzwerk Twitter hinterlassen hat. Ein Team um Patty Kostkova an der Universität London machte sich dabei zunutze, dass Twitter die Suche nach Begriffen ermöglicht. Und tatsächlich erwies sich im Beobachtungszeitraum von Mai bis November 2009 die Schweinegrippe als ein Topthema. Verfolge man also die Frequenz bestimmter Worte und Wortkombinationen bei Twitter, könnte man aufkommenden Epidemien rascher auf die Schliche kommen, so Kostkova, vor allem wenn man die Twitter-Analysen mit bereits bestehenden Internetquellen zur Epidemieüberwachung wie GPHIN (Global Public Health Intelligence Network, kostenpflichtig) oder MedIsys (http://medusa.jrc.it) kombiniere. Ich habe übrigens keinen Eintrag bei Facebook und fürs Twittern ist mir meine Zeit auch zu schade. Es muss ja auch nicht jeder überall und jederzeit wissen, womit ich mich gerade beschäf-
fältige Schlüsse ziehen können – eine scheinbar unvermeidliche Nebenwirkung bei der Nutzung des Internets. Insofern war es nicht erstaunlich, dass ich kürzlich eine E-Mail von einem schweizerischen medizinischen Fachportal erhielt: «Uns ist aufgefallen, dass Sie sich seit Längerem nicht mehr in den geschützten Bereich unserer ... Seite eingeloggt haben.» Obwohl ich mir über die potenzielle Überwachung meiner Internet-Aktivitäten eigentlich klar war, hat es mich doch überrascht und auch geärgert, dass diese hier tatsächlich akribisch verfolgt wurden. Man muss der tolpatschigen Werbeagentur, die die E-Mail verfasst und dabei unfreiwillig daran erinnert hat, wie genau man als User überwacht wird, fast dankbar sein.
Renate Bonifer
ARS MEDICI 9 ■ 2010 337