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Auswertungen des britischen Krebsregisters ECRIC
Doch kein Anstieg der Melanomfälle?
In den letzten Jahren schlagen Dermatologen regelmässig Alarm. Ihre warnende Botschaft lautet: Immer mehr Menschen erkranken an einem malignen Melanom! Eine verbesserte Früherkennung sei deshalb zwingend erforderlich. Jetzt kommt die Auswertung eines britischen Krebsregisters zu einem überraschenden Befund. Der Anstieg der Melanominzidenz könnte demnach auf einer Täuschung beruhen. So jedenfalls sieht es die Arbeitsgruppe um den Dermatologen Nick Levell von der Norfolk and Norwich University. Wie im «British Journal of Dermatology» (2009; 161: 630–634) nachzulesen, soll der Anstieg der Melanominzidenz in den letzten Jahrzehnten im Wesentlichen dadurch zu erklären sein, dass Hautärzte in grösserem Umfang benigne Läsionen als Melanome im Frühstadium fehlinterpretieren. Nick Levell und seine Kollegen hatten die Daten des Eastern Cancer Registration and Information Centre (ECRIC) in East Anglia über den Zeitraum von 1992 bis 2004 ausgewertet. Ganz in Entsprechung zu den Ergebnissen anderer Krebsregister fanden sie dabei einen Anstieg der Melanomdiagnosen. In der Region im Osten Englands stieg die Inzidenz von 9,39 auf 13,91 pro 100 000 Einwohner. Diese Zunahme war allerdings fast ausschliesslich auf Melanome im Stadium 1 zurückzuführen, deren Inzidenz
sich von 4,81 auf 8,98 pro
100 000 Einwohner fast ver-
doppelte. Man könnte dies als
einen beeindruckenden Erfolg
der allseits geforderten Früh-
erkennung werten; im Sta-
dium 1, das bestätigt die Ana-
lyse des Krebsregisters, be-
tragen die Heilungschancen
nämlich praktisch 100 Pro-
zent. Diese Interpretation wäre
mit dem Befund in Einklang Malignes Melanom: zu häufig diagnostiziert?
zu bringen, dass die Morta-
litätsrate im Laufe der Zeit
kaum angestiegen ist. Im Jahr 1991 gab es Erklärung. Die Frage, welche der beiden
jährlich 2,16 Todesfälle pro 100 000 Ein- Interpretationen zutrifft, liesse sich durch-
wohner, im Jahr 2004 waren es mit 2,54 To- aus klären. Die Autoren fordern denn auch
desfällen pro 100 000 Einwohner nur un- einen Vergleich der histologischen Präpa-
wesentlich mehr.
rate aus dem Jahr 1991 mit den Befunden
Die Daten lassen sich laut Levell und Mit- aus dem Jahr 2004 und kündigen eine ent-
arbeitern aber auch anders interpretieren: sprechende Studie an. Zugleich ermuntern
Melanome sind im Frühstadium nicht sie ihre Fachkollegen dazu, ihre archivier-
immer leicht von gutartigen Läsionen zu ten Melanombefunde mit den aktuellen zu
unterscheiden. Das gestiegene Problem- vergleichen. Unklar ist, warum die Studien-
bewusstsein, womöglich auch die Angst autoren den Abschluss dieser vergleichen-
vor Schadenersatzklagen bei übersehenen den Untersuchungen nicht zunächst abge-
Melanomen, könnten dazu geführt haben, wartet haben. Sie setzen sich so, nach Mei-
dass Dermatologen die diagnostische nung mancher Kollegen, der Kritik aus, auf
Grenze zum Melanom in den Bereich beni- billige Weise Aufmerksamkeit erheischen
gner Läsionen verschoben haben. Dann zu wollen.
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fänden die mutmasslichen klinischen Er-
U.B.
folge in Wirklichkeit eine simple natürliche
Prostatakarzinom: hohe Überlebensraten bei konservativer Therapie
Bei unter 65-jährigen Männern mit einem auf die Prostata beschränkten Karzinom vermag eine chirurgische Behandlung die Mortalität nachweislich zu senken. Bei betagten Männern hingegen ist die Prognose auch unter konservativer Behandlung, das heisst einer Active Surveillance, sehr gut. Das hat die SEER-Studie (Surveillance, Epidemiology and End Results) ergeben, eine prospektive populationsbasierte Kohortenstudie, die in mehreren US-amerikanischen Staaten durchgeführt wurde (JAMA 2009; 302: 1202—1209). Im Zeitraum zwischen 1992 und 2002 wurden dabei knapp 11 000 Männer (medianes Alter: 78 Jahre) mit einem Prostatakarzinom T1/T2 und einem Gleason-Score 5 bis 7 diagnostiziert. Diese Gruppe machte mit 76 Prozent den Hauptanteil der Patienten aus. Bei 4500 von ihnen wurde der Tumor durch eine Screeninguntersuchung entdeckt. Die Zehn-Jahres-
Überlebensrate betrug unter konservativer Therapie 94 Prozent, die Sterblichkeitsrate lag also bei nur 6 Prozent. In früheren Studien, in denen nicht durch Screening entdeckte Prostatakarzinome untersucht wurden, lag die Mortalitätsrate mit 15 bis 23 Prozent deutlich höher. Die günstigeren Resultate in der aktuellen Studie könnten durch die frühere Diagnostik, durch Überdiagnostik (Patienten, die ohne Screening nie symptomatisch geworden wären) oder durch eine verbesserte Therapie zu erklären sein. 8,4 Prozent der Patienten mit einem moderat differenzierten und 45,4 Prozent der Patienten mit einem schlecht differenzierten Karzinom erhielten während des Beobachtungszeitraums eine Androgensuppressionstherapie, 1,6 Prozent unterzogen sich einer Chemotherapie, 0,9 Prozent wurden wegen Metastasen operiert oder bestrahlt.
U.B. ■
812 ARS MEDICI 20 ■ 2009