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Fehlalarm Penicillin-Allergie
Eine deutsche Arbeitsgruppe zeigt, dass viele Menschen zu Unrecht als Penicillin-Allergiker gelten
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Penicillin-Allergien werden nicht selten zum Problem bei Patienten mit Infektionskrankheiten. Berichtet der Patient von einer vorhandenen Penicillin-Allergie, vermeidet der Arzt zumeist alle Betalaktam-Antibiotika. Drei Viertel der vermeintlichen Allergien lassen sich jedoch nicht bestätigen. Das zeigt eine Studie von Würzburger Dermatologen. Die Autoren fordern im Verdachtsfall eine genaue allergologische Abklärung.
Vertraut man den Angaben der Patienten, dann kann man zu dem Schluss kommen, Penicillin-Allergien hätten inzwischen beinahe epidemische Ausmasse angenommen. Bis zu 10 Prozent der Bevölkerung sollen inzwischen davon betroffen sein. «In der Praxis und Klinik kommt es deshalb immer häufiger vor, dass ein Allergie-
Pass oder Angaben der Patienten über eine Penicillin-Allergie die eigentlich indizierte Penicillin-Therapie verhindern», meint eine Arbeitsgruppe um Privatdozent Axel Trautmann von der Dermatologischen Klinik der Universität Würzburg. In einem Beitrag für das «Deutsche Ärzteblatt» beklagen die Dermatologen die daraus resultierenden Folgen: Chinolone, Makrolide und Glykopeptidantibiotika kämen vermehrt zur Anwendung, Medikamente also mit einem breiteren Wirkspektrum und geringerer Wirksamkeit, die das Auftreten von Antibiotikaresistenzen förderten und zudem für einen Kostenanstieg im Gesundheitswesen sorgten. Dass Ärzte bei vermeintlich bestehender Allergie auf Penicillin und andere Betalaktam-Antibiotika verzichten, lässt sich anhand der zu befürchtenden allergischen Reaktionen leicht nachvollziehen. Im Rahmen einer IgE-vermittelten Soforttyp-Reaktion kommt es innerhalb von einigen Minuten bis spätestens zwei Stunden zu charakteristischen Symptomen an Haut, in den Atemwegen, im Herz-Kreislauf-System und im Magen-Darm-Trakt. Urtikaria, Angioödem, Blutdruckabfall, Asthma, Tachykardie, Übelkeit und Erbrechen treten auf. Daneben gibt es die weniger gut umschriebenen Spätreaktionen, der aber auch nichtimmunologische Mechanismen oder Arzneimittelinteraktionen zugrunde liegen können. Bei echten Spättypallergien treten Exantheme eine bis zwei Wochen nach Therapiebeginn auf, nach erfolgter Sensibilisierung bereits innert weniger Stunden.
Plädoyer für eine allergologische Abklärung
Doch die Sorgen sind vielfach unberechtigt, denn nicht selten erweist sich die an-
Merk-
sätze
q Bei einem Verdacht auf Penicillin-Allergie sollte eine allergologische Abklärung erfolgen, um die Diagnose zu sichern.
q Ist der spezifische IgE-Test positiv, kann ohne weitere Untersuchungen von einer Penicillin-Allergie ausgegangen werden.
q Zephalosporine der dritten Generation sind eine sichere Alternative bei Penicillin-Allergie.
genommene Penicillin-Allergie als falscher Alarm, wie die Würzburger Dermatologen in einer eigenen Studie bei 325 Patienten nachweisen konnten. 50 Prozent der Patienten in einem Alter zwischen 8 und 98 Jahren hatten eine vermeintliche allergische Reaktion auf Penicillin in den letzten zwölf Monaten, bei den übrigen lag eine solche Jahre zurück, wie die anamnestische Befragung ergab. Zusätzliche Recherchen in Krankenberichten und Informationen über Therapiemassnahmen liessen bei dem Patientenkollektiv 122 Sofortreaktionen und 170 Spätreaktionen vermuten, bei den restlichen Fällen liess sich die Symptomatik nicht klar zuordnen. Bei 80 Patienten war anscheinend eine Urtikaria beziehungsweise ein Angioödem aufgetreten, bei fast jedem Zweiten ein Exanthem, in seltenen Fällen dagegen eine Vaskulitis oder ein Erythema exsudativum multiforme. Um festzustellen, ob tatsächlich eine Allergie bestand, führten die Dermatologen
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Fehlalarm Penicillinallergie
bei den Studienteilnehmern eine allergo- Weil dies so ist, fordern die Autoren bei
logische Stufendiagnostik durch, begin- Verdacht auf eine Penicillin-Allergie eine
nend mit einem Betalaktam-spezifischen genaue allergologische Abklärung, um
IgE-in-vitro-Test, daran anschliessend folg- eine fehlerhafte Etikettierung der Patien-
ten Haut- und Expositionstests.
ten zu verhindern. «Keinesfalls sollte ein
Der IgE-Test kann anhand eines kommer- Patient aufgrund von anamnestischen An-
ziell erhältlichen Immunoassays
bequem und für den Patienten völlig gefahrlos erfolgen. Bei lediglich 8 Patienten liess sich an-
“ Keinesfalls sollte ein Patient
hand des IgE-Tests eine Soforttypallergie gegen Penicillin V/G
aufgrund von anamnestischen
diagnostizieren.
Angaben oder Beobachtungen ein
Prick- und Intrakutantests, die
am volaren Unterarm durchgeführt und nach 20 Minuten abgelesen werden, lassen eine Soforttypreaktion erkennen. Eine
Leben lang als Penicillin-Allergiker
”gelten.
Spätablesung nach zwei, drei und
vier Tagen gibt Hinweise auf eine Spät- gaben oder Beobachtungen ein Leben
reaktion.
lang als Penicillin-Allergiker gelten, denn
Sofortreaktionen traten demnach bei wenn Betalaktame indiziert sind, ist in der
25 Patienten auf, eine Spätreaktion gegen Regel keine Zeit mehr für eine Diagnos-
Penicillin fand sich bei 16 Patienten, ge- tik», schreiben die Autoren. Sie verspre-
gen Aminopenicilline bei 22 Patienten. chen sich von der frühzeitigen Abklärung
Nur 1 Patient hatte demnach eine Reak- letztlich eine wirksamere Patientenversor-
tion auf Zephalosporin. Mit Hilfe des ora- gung, weniger Nebenwirkungen und eine
len Expositionstests konnten 6 weitere Reduktion von Antibiotikaresistenzen.
Patienten mit Sofort- oder Spättypreaktio-
nen gegen eines der Antibiotika ermittelt werden. Insgesamt zeigten 246 der 325 Patienten keine Penicillin-Allergie. Mit an-
Zephalosporine sind geeignete Ausweichpräparate
deren Worten: Nur etwa jeder Vierte hatte Patienten, bei denen sich die Allergie be-
tatsächlich eine Allergie gegen Penicillin stätigt, können übrigens ohne weiteres
und seine semisynthetischen Derivate. mit Zephalosporinen behandelt werden.
Die Expositionstests zeigten nämlich, dass
alle 52 Patienten mit Penicillin-Allergie
tatsächlich Zephalosporine tolerierten.
Die Hauttests sind bei korrekter Durch-
führung sehr sicher. Allgemeinreaktionen
sind bei nur 1 Prozent der Patienten zu
erwarten. Wichtig ist, dass bereits der
spezifische IgE-Test dank seiner hohen
Spezifität bei einem positiven Ergebnis
und passender Anamnese eine weiter ge-
hende Diagnostik überflüssig macht. Fällt
der In-vitro-Test negativ aus, müssen sich
die Hauttests anschliessen. Zeigen sie ein
positives Ergebnis, kann auf den Expositi-
onstest verzichtet werden. Werden Haut-
tests und IgE-Test toleriert, ist übrigens
auch der Expositionstest zu mehr als 95
Prozent negativ.
q
Jiri Trcka et al.: Penicillintherapie trotz Penicillinallergie? Plädoyer für eine allergologische Diagnostik bei Verdacht auf Penicillinallergie. Dtsch. Ärztebl. 2004; 101: A2882–2887.
Uwe Beise
Interessenkonflikte: keine
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