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Gicht: Heilung scheint möglich
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Gicht ist schmerzhaft und nicht nur wegen drohender Gelenkschäden gefährlich. Am PraxisUpdate in Bern erläuterte PD Dr. med. Daniel Aeberli die wichtigsten Punkte, die es bei der Behandlung von Gichtpatienten zu beachten gilt.
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BERICHT
Gicht
Heilung scheint möglich

Gicht ist schmerzhaft und nicht nur wegen drohender Gelenkschäden gefährlich. Am PraxisUpdate in Bern erläuterte PD Dr. med. Daniel Aeberli die wichtigsten Punkte, die es bei der Behandlung von Gichtpatienten zu beachten gilt.

Gicht sei nicht nur wegen der schmerzhaften Einlagerungen von Uratkristallen in den Gelenken gefährlich, sondern darüber hinaus mit zahlreichen Komorbiditäten vergesellschaftet und letztlich auch ein lebensverkürzender Faktor, sagte PD Dr. med. Daniel Aeberli, Leitender Arzt Rheumatologie am Inselspital Bern. Auch aus diesem Grund sei eine Behandlung von Gichtpatienten sehr wichtig. Indikationen für eine harnsäuresenkende Therapie sind: s 2 oder mehr Gichtschübe pro Jahr, Tophi, chronische
Nierenerkrankung oder nach Urolithiasis s 1 Gichtschub und sehr hohe Harnsäurewerte, jüngerer Pa-
tient (< 40 Jahre) und bei Vorliegen von Komorbiditäten. Ein erhöhter Harnsäurewert im Blut ohne Gichtsymptome sei hingegen (noch) keine Indikation für harnsäuresenkende Medikamente, aber «man muss wegen der assoziierten Risiken wissen, dass es Hyperurikämie und Uratkristalle auch ohne Symptome gibt», so Aeberli. Ist es Gicht oder nicht? Der Harnsäurespiegel ist im akuten Gichtschub häufig normal, sodass er zu diesem Zeitpunkt als diagnostischer Parameter ausfällt. Goldstandard ist der Nachweis von Uratkristallen im betroffenen Gelenk. Eine Punktion des Gelenks ist jedoch nicht immer möglich. Es gibt diagnostische Scores, die anhand von Laborwerten und klinischen Befunden eine Gichtdiagnose ohne Gelenkpunktion ermöglichen (Tabelle). Ein nicht invasiver Nachweis von Uratkristallen in den Gelenken ist mithilfe der DECT (Dual-Energy-Computertomografie) möglich. Dieses Verfahren ist jedoch teuer und zurzeit nur an wenigen Spitälern in der Schweiz verfügbar. Eine Indikation für die DECT sei beispielsweise die Situation bei einem jungen Patienten mit Verdacht auf Gicht, um Differenzialdiagnosen auszuschliessen, wenn Sonografie und Röntgen nicht weiterhelfen würden, erläuterte der Referent. Akute Behandlung im Gichtschub Gemäss den aktuellen Guidelines der internationalen Fachgesellschaften American College of Rheumatology (ACR) und European League Against Rheumatism (EULAR) sind bei einem akuten Gichtschub NSAID, Kortikosteroide oder Col- chicin indiziert; reicht das nicht aus, werden IL-1-Hemmer empfohlen (Canakinumab [Ilaris®]). Falls nur ein oder wenige Gelenke betroffen und NSAID kontraindiziert sind, kommen intraartikuläre Injektionen mit Triamcinolon infrage (10 bis 40 mg in Kombination mit Lidocain). Ebenfalls eine Alternative zu NSAID ist systemisches Prednison (30 bis 50 mg/Tag) für 3 bis 5 Tage, das dann über 10 Tage hinweg ausgeschlichen wird. Colchicin ist in der Schweiz nicht mehr auf dem Markt, kann jedoch aus dem Ausland oder gegebenenfalls als Magistralrezeptur bezogen werden. Bei Colchicin ist eine Reihe von Wechselwirkungen zu bedenken. So beeinflusst es den Stoffwechsel des Immunsuppressivums Ciclosporin über Wechselwirkungen mit dem Transportermolekül P-Glykoprotein (PGP). Interaktionen bestehen auch mit dem Zytochrom CYP34A, dadurch ist die Wirkung von beispielsweise Clarithromycin und Eryhromycin beeinträchtigt. Nicht zuletzt kann Colchicin die Niere schädigen, sodass ab einer GFR < 60 ml/min eine Dosisreduktion erforderlich ist. Aeberli nannte für Colchicin bei Gicht folgende Dosierungsempfehlungen: s Normaldosierung: 1. Tag: 1 mg sofort, nach 1 Stunde 1 × 0,5 mg; ab 2. Tag: 2 × 0,5 mg s Niereninsuffizienz (GFR 15–60 ml/min), Leberzirrhose (Childs A/B), gleichzeitige Gabe schwacher PGP-/ CP3A4-Hemmer: 1. Tag: 1 mg; ab 2. Tag: 1 × 0,25 bis 0,5 mg s Gleichzeitige Gabe starker PGP-/CP3A4-Hemmer: 1. Tag: 0,5 mg; ab 2. Tag: 1 × 0,25 mg Harnsäuresenkende Medikamente In der Regel beginnt man mit der harnsäuresenkenden Therapie nach dem Abklingen des Gichtschubs. Allopurinol (Zyloric® und Generika) ist das First-line-Medikament. Man beginnt damit niedrig dosiert (100 mg/Tag), um das Nebenwirkungsrisiko möglichst klein zu halten. Wird Allopurinol nicht vertragen oder ist es wegen Niereninsuffizienz eher nicht indiziert, ist Febuxostat (Adenuric®) eine Alternative. Sowohl Allopurinol als auch Febuxostat sind Hemmer der Xanthinoxidase (XO-Hemmer). Daran muss 28 ARS MEDICI 1+2 | 2020 BERICHT Diagnosekriterien der Gicht Kriterium Eigenschaften Punkte Welche Gelenke? Sprunggelenk, Mittelfuss (ohne MTP I) MTP I 1 2 Symptome: • Gelenkerythem • Gelenkberührung schmerzt unerträglich • Starke Beschwerden beim Gehen oder Bewegen des Gelenks 1 von 3 Symptomen 2 von 3 Symptomen alle 3 Symptome 1 2 3 Verlauf einer typischen Episode: • < 24 Stunden bis zum Beschwerdemaximum • ≤ 14 Tage bis Symptome abklingen • im Intervall völlig beschwerdefrei 1 typische Episode wiederholte typische Episoden 1 2 Tophus vorhanden 4 Serumharnsäure Messung möglichst > 4 Wochen vor Episode, ohne harnsäuresenkende Therapie, höchster im Verlauf gemessener Wert

< 4 mg/dl 6 bis 8 mg/dl (360–480 µmol/l) 8 bis < 10 mg/dl ≥ 10 mg/dl (≥ 600 µmol/l) –4 2 4 4 Mikroskopische Analyse der Synovialflüssigkeit* Uratkristalle nicht nachweisbar –2 Nachweis von Uratablagerungen mit Sonografie oder DECT Uratablagerungen vorhanden 4 Nachweis gichttypischer Erosionen im Röntgen (Hände, Füsse) gichttypische Erosionen vorhanden 4 Bei ≥ 8 Punkten kann die Diagnose Gicht mit einer Sensitivität von 92 Prozent und einer Spezifität von 89 Prozent gestellt werden. Der Nachweis von Uratkristallen ist ein ausreichendes Kriterium für die Diagnose einer Gicht. *Falls nicht verfügbar, Punktwert 0 eintragen. DECT: Dual-Energy-Computertomografie; MTP I: Metatarsophalangealgelenk I; nach Neogi T et al., Ann Rheum Dis 2015; 74(10): 1789–1798. man bei der Verordnung denken: «Keine Kombination von XO-Hemmern mit Azathioprin!» warnte der Referent. Falls Allopurinol allein nicht ausreicht, um den Harnsäurezielwert zu erreichen, kommt eine Kombination mit Lesinurad (Zurampic®) infrage. Eine Alternative zur Kombination mit Lesinurad ist die alleinige Gabe von Probenecid (Santuril®). Kommt man auch damit nicht weiter, sind Pegloticase (Krystexxa®) oder Rasburicase (Fasturtec®) eine Option. Pegloticase ist jedoch in der Schweiz noch nicht und Rasburicase nur für eine andere Indikation zugelassen. Zuerst wird’s schlechter Der Referent betonte, dass man Patienten bei der Verordnung harnsäuresenkender Medikamente unbedingt auf die damit zunächst vermehrt auftretenden Gichtschübe hinweisen müsse. Aus diesem Grund wird parallel eine antientzündliche Prophylaxemedikation verordnet. First-line-Optionen sind hierbei niedrig dosiertes Colchicin oder NSAID. Falls das nicht genügt oder nicht vertragen wird, sind niedrig dosierte Kortikosteroide und als letzte Möglichkeit, off-label, der IL1-Hemmer Canakinumab indiziert. Die antientzündliche Prophylaxe darf nicht zu früh abgesetzt werden. Sie muss mindestens 6 Monate lang erfolgen beziehungsweise für weitere 3 Monate nach dem Erreichen des Harnsäurezielwertes fortgesetzt werden, falls keine Tophi vorliegen. Sind Tophi vorhanden, muss die Prophylaxe noch 6 Monate nach dem Erreichen des Harnsäurezielwertes beibehalten werden. Hoffnung auf Heilung Die schmerzhaften Uratkristalle lösen sich wieder auf, wenn der Harnsäurewert im Blut sinkt. Die Hoffnung auf Heilung sei insofern berechtigt: «Man glaubt, dass eine langfristige Behandlung zusammen mit Veränderungen des Lebensstils zu einer Heilung führen kann, auch wenn man es bis heute nicht sicher weiss», sagte Aeberli. Hindernisse auf dem Weg zur Remission sind neben der man- gelnden Therapietreue der Patienten persistierende Tophi, weil sich von dort immer wieder Uratkristalle lösen und Schmerzen verursachen. Auch tendieren die Patienten dazu, ihre Therapie zu früh abzusetzen, wenn kein Schub mehr auftritt. Um die Compliance zu steigern und den Therapie- erfolg zu sichern, hat sich in einer Studie das regelmässige Telefonieren mit den Patienten bewährt. Ebenso wirksam dürfte das regelmässige Wiedereinbestellen der Patienten in die Praxis sein. s Renate Bonifer Quelle: Vortrag von PD Dr. med. Daniel Aeberli am PraxisUpdate Bern, 7. November 2019 30 ARS MEDICI 1+2 | 2020