Metainformationen


Titel
«Psychopharmaka in der Schwangerschaft nicht reflexhaft absetzen»
Untertitel
Interview mit Dr. med. Antje Heck, Psychiatrische Dienste Aargau
Lead
Viele Frauen wollen jegliche Medikamente absetzen, sobald sie schwanger werden. Das ist jedoch nicht immer sinnvoll, auch nicht bei Psychopharmaka gegen Depressionen. Wir sprachen darüber mit Dr. med. Antje Heck von den Psychiatrischen Diensten Aargau AG (PDAG), die dort eine Spezial- sprechstunde für alle Fragen zu Medikamenten in Schwangerschaft und Stillzeit aufgebaut hat.
Datum
Autoren
-
Rubrik
MEDIZIN — INTERVIEW
Schlagworte
Artikel-ID
5349
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/5349
Download

Transkript


INTERVIEW
«Psychopharmaka in der Schwangerschaft nicht reflexhaft absetzen»
Interview mit Dr. med. Antje Heck, Psychiatrische Dienste Aargau

Viele Frauen wollen jegliche Medikamente absetzen, eine Gefahr für Mutter und Kind darstellt. So sind zum

sobald sie schwanger werden. Das ist jedoch nicht immer sinnvoll, auch nicht bei Psychopharmaka gegen Depressionen. Wir sprachen darüber mit

Beispiel Spontanabort, Frühgeburtlichkeit oder geringes Geburtsgewicht mit Depressionen während der Schwangerschaft assoziiert. Was vielen wahrscheinlich auch nicht klar ist: Der Suizid gehört zu den häufigsten Todesursachen in der

Dr. med. Antje Heck von den Psychiatrischen

Schwangerschaft. Eine Schwangerschaft schützt nicht vor

Diensten Aargau AG (PDAG), die dort eine Spezialsprechstunde für alle Fragen zu Medikamenten in Schwangerschaft und Stillzeit aufgebaut hat.

depressiven Episoden. Man weiss aus der Literatur, dass unter Fortführung einer antidepressiven Therapie während der Schwangerschaft die Inzidenz schwerer depressiver Episoden bei 26 Prozent liegt, nach Absetzen aber bei 68 Pro-

zent, davon die Hälfte im ersten Trimenon. Bei 60 Prozent

aller Frauen, die in der Schwangerschaft ein Antidepressivum

ARS MEDICI: Frau Dr. Heck, nehmen tatsächlich so viele absetzen, muss dieses noch während der Schwangerschaft

Schwangere Psychopharmaka, dass es dafür eine spezielle wieder eingesetzt werden.

Sprechstunde braucht?

Dr. med. Antje Heck: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass ARS MEDICI: Sie würden also dazu raten, trotz Schwangerschaft

es in unserer Sprechstunde nicht nur um psychiatrische Frage- das Medikament weiter einzunehmen und es nicht abzusetzen?

stellungen in Schwangerschaft und Stillzeit geht, sondern Heck: So pauschal kann man das nun auch wieder nicht sagen.

auch um andere Erkrankungen, wie beispielsweise chronische Es kommt auf die Schwere der Erkrankung und das Medika-

Schmerzen, Migräne, Schlafstörungen, Epilepsie oder Multiple ment an. Es gibt klare Teratogene wie zum Beispiel Valproat,

Sklerose. In der Tat kommen die meisten Frauen aber wegen Carbamazepin oder auch das Aknemittel Isotretinoin, die

der Psychopharmaka zu uns. Zum Beispiel sind Depressionen sofort abgesetzt werden müssen. Eigentlich sollte man diese

in der Schwangerschaft gar nicht selten. Man weiss aus der Medikamente Frauen, die schwanger werden könnten, so-

Literatur, dass deren Inzidenz bei zirka 10 bis 16 Prozent wieso nicht geben.

liegt. Unsere Zuweisungen kommen in erster Linie von Anders sieht es mit den Antidepressiva aus. Diese sind im All-

Gynäkologen, Allgemeinmedizinern und Psychiatern, aber gemeinen nicht teratogen. Von den SSRI werden allenfalls

auch Hebammen, Psychotherapeuten oder die Schwangeren Paroxetin und Fluoxetin mit einem gering erhöhten Risiko

selbst beziehungsweise Frauen mit Kinderwunsch wenden für Septumdefekte assoziiert, Paroxetin zusätzlich mit einem

sich an uns unter Angabe eines zuweisenden Arztes. Das Erst- erhöhten Risiko für persistierende pulmonale Hypertonie.

gespräch dauert in der Regel eineinhalb Stunden.

Fluoxetin ist in der Schwangerschaft und Stillzeit auch wegen

seiner recht langen Halbwertszeit eher ungünstig, sodass

ARS MEDICI: Nun steht ja in jeder Fachinformation, ob ein Sertralin und Citalopram als erste Wahl für depressive

Medikament in der Schwangerschaft genommen werden Schwangere gelten. Das heisst aber wiederum nicht, dass

kann oder nicht ...

diese SSRI nun völlig nebenwirkungsfrei für das Kind wären.

Heck: Sonderlich hilfreich sind diese Angaben in der Praxis Man weiss, dass SSRI in der Schwangerschaft bei Neugebo-

aber selten. Typischerweise heisst es in Arzneimittelinforma- renen neben Anpassungsstörungen in Einzelfällen zu einer

tionen, dass die Substanz XY während der Schwangerschaft erhöhten Blutungsneigung und einem verlängerten QT-Inter-

vall führen können. Generell gilt daher für

Ziel ist es, für die Schwangere möglichst viel Stabilität mit möglichst wenig Medikamenten zu erreichen.

jede Schwangerschaft unter Psychopharmaka, dass die Geburt in einer Klinik mit Neonatalogie erfolgen sollte.

Auch Trizyklika können in Schwanger-

nicht angewendet werden sollte, es sei denn, es sei dringend schaft und Stillzeit eingesetzt werden. Ihre Wirksamkeit ist

erforderlich. Das führt oft zu einem unüberlegten, reflexarti- etwa gleich gut wie die der SSRI, aber die unerwünschten

gen Absetzen oder einer drastischen Dosisreduktion in der anticholinergen Wirkungen und die Toxizität bei Überdosie-

Schwangerschaft. Übersehen wird dabei, dass die Grund- rung sind Nachteile dieser recht gut dokumentierten Sub-

erkrankung, hier zum Beispiel die Depression, per se auch stanzgruppe. Eine erhöhte Teratogenität durch Trizyklika ist

344

ARS MEDICI 7 ■ 2013

INTERVIEW

Zur Person
Dr. med. Antje Heck, Fachärztin für klinische Pharmakologie und Toxikologie FMH und Anästhesie FMH, leitet die Spezialsprechstunde Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit der Psychiatrischen Dienste Aargau AG (PDAG).

erhöhtes Risiko droht. Ich rate darum eher dazu, das Antidepressivum auch kurz vor dem Geburtstermin nicht abzusetzen, ausser wie gesagt bei Substanzen, die toxisch oder schwer für das Kind auszuscheiden sind oder häufiger schwerere Anpassungsstörungen verursachen.

ARS MEDICI: Was ist nun konkret das Ziel der Beratung in Ihrer

Spezialsprechstunde in Bezug auf Psychopharmaka?

Heck: Ziel der Konsultation ist es, für die Schwangere mög-

lichst viel Stabilität mit möglichst wenig Medikamenten zu

erreichen. Wenn mir eine Patientin von mehreren Absetzver-

suchen eines Antidepressivums in der Vergangenheit erzählt,

nach denen die Depression immer wieder aufflackerte, dann

ist klar, dass es nicht ohne geht. Zudem schauen wir, dass alle

nicht medikamentösen Therapieoptionen ausgeschöpft sind.

Es gibt aber auch andere Fälle, wie zum Beispiel kürzlich eine

Frau mit Kinderwunsch, die vor Jahren einmal eine depres-

sive Episode hatte und seitdem Paroxetin einnahm. Hätte ich

zwar nicht bekannt, aber zur Sicherheit sollte immer eine diesen Fall nur als Konsil per E-Mail an den behandelnden

Ultraschallfeindiagnostik am Ende des ersten Trimenons er- Arzt erledigt, wäre meine Antwort vermutlich gewesen, auf

folgen. Bei einer Neueinstellung wären Amitriptylin, Imipra- Sertralin oder Citalopram umzustellen. Als mir die Frau aber

min oder Nortriptylin wegen der umfangreichen Datenlage gegenüber sass, stellte sich im Gespräch rasch heraus, dass sie

zu bevorzugen – natürlich immer als Monotherapie. Auch eigentlich ganz gut ohne Antidepressivum auskommen

andere Dinge sind zu bedenken. Wenn die Mutter das Kind könnte – und so war es dann auch. Es handelt sich also immer

stillen möchte, sollte man zum Beispiel gar nicht erst mit um ganz individuelle Fragestellungen, die man auch so be-

Doxepin anfangen.

antworten muss. Aus diesem Grund hatte ich mich vor drei

Jahren auch entschlossen, diese spezielle Sprech-

Auch die Grunderkrankung, hier zum Beispiel die Depression, ist per se eine Gefahr für Mutter und Kind.

stunde aufzubauen. Der klinische Nutzen von Pauschalaussagen wie Medikament A ist in dieser Zeit geeigneter als Medikament B ist nämlich

zweifelhaft und geht an den Bedürfnissen der ein-

ARS MEDICI: Leidet das Neugeborene unter Entzugserscheinun- zelnen Patientin vorbei. Zudem besteht ein hoher Aufklä-

gen, wenn die Mutter während der Schwangerschaft Psycho- rungsbedarf, dem wir mit unserer Beratung nachkommen.

pharmaka eingenommen hat?

Heck: Man weiss, dass zirka 20 Prozent der Neugeborenen, ARS MEDICI: Setzen viele Schwangere ihre Psychopharmaka aus

die während der Schwangerschaft Psychopharmaka ausge- Angst um das Kind nicht sowieso einfach ab?

setzt waren, je nach Dauer und Substanz gewisse Anpas- Heck: Ja, die Schwangeren setzen ihre Psychopharmaka oft

sungsstörungen aufweisen können. Bei den SSRI sind die selbst ab, oder sie werden von ihren Familien, dem Hausarzt,

Symptome aber meist mild und selbstlimitierend. Sie treten Gynäkologen oder dem Apotheker dazu gedrängt. Schon

auch nach anderen Psychopharmaka in der Schwangerschaft nach kurzer Zeit kann es dann sein, dass sie dekompensieren

auf. Um Anpassungsstörungen zu vermeiden, raten manche und dann wiederum leider recht lange, bis sie Hilfe suchen.

Kollegen, die Psychopharmaka zwei Wochen vor dem Ge- Viele Patientinnen nehmen Psychopharmaka ein, ohne dass

burtstermin abzusetzen. Das ist aber nur eine Faustregel und sie je einen Psychiater gesehen haben. Das finde ich sehr be-

keine evidenzbasierte Empfehlung, denn das Intervall hängt denklich, denn das heisst schliesslich auch, dass diese Frauen

ja nicht zuletzt von der Halbwertszeit der jeweiligen Substanz keine Psychotherapie machen, was ja eigentlich der wich-

ab. Ausserdem weiss man, dass Anpassungsstörungen eher tigste Behandlungspfeiler in der antidepressiven Therapie

von der Dauer der Exposition in der Schwangerschaft ab- wäre. Am Ende sitzen mir dekompensierte, zum Teil schwer

hängen und weniger davon, wie nah an den Geburtstermin depressive Schwangere gegenüber, von denen ich einige sogar

heran sie eingenommen werden. Sicher ist Absetzen sinnvoll, schon ins Spital einweisen musste, so schlecht ging es ihnen.

wenn es sich um ein Medikament handelt, das die Atmung Ein ebenfalls häufiges Phänomen ist, dass viele depressive

beeinträchtigt, sedierend wirkt oder schwer für das Kind aus- Schwangere, egal wie schlecht es ihnen geht, um keinen Preis

zuscheiden ist. Die meisten Antidepressiva sind das aber Medikamente nehmen wollen, um das Kind nicht zu gefähr-

nicht. Insofern finde ich es relativ gefährlich, bei Schwange- den. Das ist zwar verständlich, aber sie schiessen damit doch

ren mit hohem Risiko für das Auftreten eines neuen depressi- meist über das Ziel hinaus und gefährden sich und ihr Unge-

ven Schubs die Medikamente zwei Wochen vor dem errech- borenes ebenfalls.

neten Geburtstermin abzusetzen. Nur 4 Prozent aller Kinder

kommen tatsächlich am Termin. Die Frau könnte also auch ARS MEDICI: Wie hoch ist das Risiko für Fehlbildungen beim

erst zwei Wochen später gebären. Im ungünstigsten Fall hätte Kind denn tatsächlich?

sie dann vier Wochen lang keinen Schutz – und das in einer Heck: Das kommt wie gesagt auf das Medikament an. Gene-

Phase, in der mit der postnatalen Depression ohnehin ein rell gilt: Keine Panik, auch wenn eine Schwangerschaft

ARS MEDICI 7 ■ 2013

345

INTERVIEW

INFORMATION

Spezialsprechstunde Medikamente in Schwangerschaft und Stillzeit
Beratung und Information bei Kinderwunsch, in der Schwangerschaft und Stillzeit
Psychiatrische Dienste Aargau AG Klinik Königsfelden Qualitätszentrum für Medikamentensicherheit mediQ Zürcherstrasse 241 5210 Windisch Tel.: 052-462 21 86 E-Mail: schwangerschaft@pdag.ch

Heck: Nein, davon halte ich gar nichts. Entweder wir behandeln pharmakologisch – aber dann so, dass es zu einem wirksamen Plasmaspiegel führt –, oder wir behandeln nicht. Es ist leider so, dass in der Schwangerschaft gerne einmal gefühlsmässig die Hälfte von irgendetwas verabreicht wird, aber das entbehrt jeglicher Grundlage. Noch dazu verändert sich die Physiologie in der Schwangerschaft fundamental, und es kommt eher zu subtherapeutischen Plasmaspiegeln bei einer sonst ganz normalen Dosierung. Ziel ist sicher immer, die niedrigst wirksame Dosis herauszufinden, um eine zu hohe Exposition des Ungeborenen zu vermeiden. Je nach Medikament kann auch ein Dosissplitting Plasmaspitzenspiegel vermeiden. Im Zweifelsfall kann hier auch ein therapeutisches Drug-Monitoring durchgeführt werden.

akzidentiell unter Psychopharmakagebrauch beginnt! Selbst eine Valproateinnahme würde keinen Schwangerschaftsabbruch ohne intensive Ultraschallfeindiagnostik rechtfertigen. Man darf auch nicht vergessen, dass schon als Basisrate bei 2 bis 3 Prozent aller Neugeborenen schwerwiegende Fehlbildungen vorliegen und bei 7 bis 14 Prozent kleinere Fehlbildungen. Medikamente, Chemikalien oder Genussmittel spielen dafür entgegen der allgemein verbreiteten Wahrnehmung eine eher untergeordnete Rolle: Man schätzt, dass 4 bis 5 Prozent der angeborenen Entwicklungsstörungen darauf zurückzuführen sind, während 20 Prozent auf das Konto bekannter Erbkrankheiten gehen und die genaue Ursache bei mehr als der Hälfte der Neugeborenen mit Fehlbildungen gar nicht bekannt ist. Die Ängste der Mütter betreffen nach meiner Erfahrung auch oft Fehlbildungen, die gar nichts mit Medikamenten zu tun haben. Was glauben Sie, wovor die meisten Schwangeren in meiner Sprechstunde Angst haben? Vor der Trisomie oder vor spastischen Lähmungen! Es geht also immer auch darum, die Frauen umfassend aufzuklären, wie gross ein bestimmtes Risiko tatsächlich ist und wodurch es tatsächlich ausgelöst wird. Es ist wichtig, die Angst zu nehmen und die vermeintliche Schuld.
ARS MEDICI: Sind Phytopharmaka eine Alternative? Heck: Ich bitte die Frauen immer, dass sie mich umgehend informieren, sobald sie sich etwas frei Verkäufliches aus der Apotheke holen. Viele denken ja, dass Phytopharmaka überhaupt keinen Schaden anrichten könnten, aber das ist bekanntermassen nicht richtig. Zum Beispiel ist Johanniskraut als Monotherapeutikum bei leichten Depressionen wahrscheinlich auch in der Schwangerschaft in Ordnung. Man muss aber daran denken, dass es verschiedene Leberenzyme induziert und damit die Wirksamkeit anderer Medikamente herabsetzen kann. Der bei Schlafstörungen beliebte Baldrian oder der Hopfen sind aus meiner Sicht unbedenklich. Passionsblume hingegen wirkt wehenauslösend, sodass man bei gemischten Tees aufpassen muss. Bei so schweren Depressionen, wie ich sie vorhin geschildert habe, nützen Phytopharmaka allerdings kaum etwas und wären als Monotherapie nicht zu verantworten.
ARS MEDICI: Vielleicht könnte man die Schwangere dann mit einer nicht ganz so hohen Dosis Antidepressiva überzeugen?

ARS MEDICI: Bei welchen Medikamentenklassen besteht nach Ihrer Erfahrung die grösste Unsicherheit bei den behandelnden Ärzten? Heck: Das sind zum einen die Antiepileptika, entweder mit der Indikation Epilepsie oder als sogenannte Mood-Stabilizer wie Carbamazepin, Valproat oder Lamotrigin. Zu den Mood-Stabilizern zählen auch Lithium oder atypische Antipsychotika wie Risperidon, Olanzapin, Quetiapin oder Ziprasidon. Hierunter finden sich einige teratogene Substanzen, und die Auswahl in der Schwangerschaft ist häufig schwierig. Jedoch bergen auch die meist eher schwerwiegenden Grunderkrankungen, für die diese Medikamente verordnet wurden, Risiken für die Mutter und das Ungeborene. Es würde an dieser Stelle aber zu weit führen, auf all diese Substanzen im Detail einzugehen. Zum anderen sind Schlafstörungen und ihre medikamentöse Behandlung ein häufiges Thema in der Sprechstunde, und auch Neuroleptika sowie Schmerz- und Migränemedikamente geben Anlass zu Fragen. Allgemein kann man sagen, dass jegliche Polypharmazie in der Schwangerschaft problematisch ist. In jedem Fall arbeite ich aber mit den behandelnden Ärzten eng zusammen und ändere eine Pharmakotherapie nicht ohne Rücksprache.
ARS MEDICI: Kommen wir nun noch zum Stillen. Wie sieht es in dieser Phase mit den Psychopharmaka aus? Heck: Für mich persönlich hat dann die Gesundheit der Mutter Vorrang, jedoch muss ihr Stillwunsch berücksichtigt werden. In der Regel finden wir hier gangbare Möglichkeiten, die den Wunsch der Mutter berücksichtigen und eine ausreichende Stabilität gewährleisten. Doch man muss vorsichtig sein: Bei allen Frauen, aber gerade bei den psychiatrischen Patientinnen, sind Geburt und Mutterschaft einschneidende Lebensereignisse mit massiven Veränderungen in Paarbeziehung und Lebensalltag. Diese können zusätzliche Stressoren sein. Falls es dann zusätzlich mit dem Stillen nicht klappt, kann es zu einer Abwärtsspirale kommen. Die Mutter bekommt zu wenig Schlaf, ist frustriert, eine psychische Erkrankung kann sich rasch verschlechtern. In solchen Fällen muss man manchmal auch den Druck wegnehmen und vom Stillen abraten, auch wenn unter dem Medikament theoretisch gestillt werden könnte. Es kann für eine Mutter-KindBeziehung durchaus manchmal besser sein, wenn die Frau nicht stillt. Jedoch gibt es viele Mütter, die partout stillen wollen, auch wenn sie eher kritische Medikamente einnehmen

346

ARS MEDICI 7 ■ 2013

INTERVIEW

müssen. Prinzipiell ist das kein Problem, denn es gibt in allen therapeutischen Gruppen Substanzen, die für die Stillzeit eher geeignet sind, bei den SSRI zum Beispiel am ehesten das Sertralin. Bei den sogenannten Mood-Stabilizern sind interessanterweise eher diejenigen für die Stillzeit geeignet, die als humane Teratogene gelten, nämlich Valproat und Carbamazepin. Hier rate ich aber klar vom Stillen ab, da eine erneute Schwangerschaft auch in der Stillzeit möglich ist und dann teratogene Schäden eintreten können. Lamotrigin hingegen, welches von den antiepileptischen Mood-Stabilizern am ehesten in der Schwangerschaft gegeben werden kann, eignet sich nicht für die Stillzeit, da die Substanz beim Kind kumulieren könnte. Bei einer Polymedikation ist in der Regel eher vom Stillen abzuraten, da der Nettoeffekt auf das Kind nicht abzuschätzen ist.

ARS MEDICI: Welchen allgemeinen Rat für die Praxis möchten

Sie unseren Leserinnen und Lesern in puncto Psychophar-

maka in Schwangerschaft und Stillzeit geben?

Heck: Ich denke, dass es primär wichtig ist, die Risiken einer

psychischen Erkrankung für Mutter und Kind nicht zu ver-

nachlässigen und diese in Relation zum Nebenwirkungs-

potenzial der entsprechenden Medikamente zu betrachten.

Diese Einschätzung ist eine individuelle, zeitintensive und

mitunter sehr komplexe Sache, sodass ich empfehlen möchte,

bei Schwangerschaft oder Kinderwunsch einer Patientin den

Rat bei einem Spezialisten oder bei uns in der Spezialsprech-

stunde zu suchen.

Das Interview führte Renate Bonifer.

ARS MEDICI 7 ■ 2013

347